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  7. Unfälle und Katastrophen der DDR: Stasi Vertuschung und geheime Ermittlungen

Geheime Ermittlungen und gefährliche Arbeitsbedingungen Durch die Stasi vertuscht: Die größten Unglücke der DDR

Der Eisenbahnunfall in Langenweddingen, das Grubenunglück in Zwickau oder das Chemieunglück in Bitterfeld: Viele Menschen verloren dabei ihr Leben. Die Ursachen der Katastrophen in der DDR wurden dabei lange von der Stasi geheim gehalten.

Von DUR/le Aktualisiert: 28.03.2024, 13:24
Der Eisenbahnunfall in Langenweddingen ist nur eines der Beispiele für Unglücke in der DDR, bei denen die Stasi geheim ermittelte und die Ergebnisse nicht bekannt gegeben wurden.
Der Eisenbahnunfall in Langenweddingen ist nur eines der Beispiele für Unglücke in der DDR, bei denen die Stasi geheim ermittelte und die Ergebnisse nicht bekannt gegeben wurden. Archivfoto: Volksstimme

Magdeburg/Halle (Saale). Ob das Chemieunglück in Bitterfeld, das schwere Grubenunglück in Zwickau oder der Eisenbahnunfall in Langenweddingen: Die Liste an Unglücken in der ehemaligen DDR ist lang. Viele Menschen verloren dabei ihr Leben.

Oft erfuhr die Öffentlichkeit jedoch weder Ursachen noch Details der Katastrophen. Grund dafür ist die Vertuschung der Unfälle durch die Regierung und die Stasi. Ermittlungen wurden von der Stasi unternommen, die Ergebnisse blieben jedoch lange geheim.

Bahnunglück in Langenweddingen: Geheime Nachforschungen der Stasi

Als ein Tanklastzug im Juli 1967 in einen vollbesetzten Zug kracht, explodiert dieser und kostet 94 Menschen, darunter 44 Kinder, in Langenweddingen (heute Landkreis Börde) das Leben. Diese Katastrophe gilt als größtes Eisenbahnunglück der DDR.

Die Öffentlichkeit erfährt die Gründe des Unfalls nicht. Stattdessen stellt die Stasi Nachforschungen an. In einem geheimen Bericht steht, dass sich eine Schranke in einem tief hängenden Telefonkabel verfangen hatte und der Bahnübergang daher nicht geschlossen war.

Die Lok des Zuges erhält deswegen kein Stopp-Signal und der Lastfahrer fährt im Glauben los, der Übergang sei freigegeben. 15.000 Liter Benzin entzünden sich bei dem Zusammenstoß und sorgen für ein Flammenmeer.

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Geheime Verschlusssache der Stasi: Absturz einer sowjetische IL 62 nahe Berlin 1972

Eine sowjetische IL 62 ist 1972 auf dem Weg nach Bulgarien, als die Maschine nahe Berlin in Königs Wusterhausen abstürzt. Dabei verlieren knapp 160 Menschen ihr Leben.

In der offiziellen Meldung bleibt offen, wie es zu dem Brand an Bord gekommen ist, der für den Absturz verantwortlich war.

Erst nach dem Mauerfall wird die geheime "Verschlusssache" der Stasi veröffentlicht. Deren Untersuchung hatte gravierende Konstruktionsmängel ergeben. So verlief eine Heißluftleitung in der Nähe von Elektrokabeln. Zudem fehlte eine Feuerwarnanlage im Cockpit.

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Grubenunglück Zwickau 1960: Bergbauer ermitteln detektivisch in alten Stasiakten

Die dunkelste Stunde des Bergbaus der DDR findet wohl am 22. Februar 1960 in Zwickau statt. Eine riesige Explosion erschüttert am Morgen das Steinkohlerevier. 123 der 174 Männer der Frühschicht kehren nicht mehr lebend an das Tageslicht zurück, manche von ihnen werden nie geborgen.

Auch hier führt das Ministerium für Staatssicherheit die Ermittlungen und darf alleine unter Tage forschen. Der Stasi wird später vorgeworfen, absichtlich falsche Schlüsse gezogen zu haben. 

Zwei Bergbau-Veteranen sehen nach der Wende detektivisch Unmengen an Stasi-Akten durch und veröffentlichen 2010 ihre Erkenntnisse zur Zwickauer Katastrophe in einem Buch.

Größtes Chemieunglück der DDR in Bitterfeld: 42 Menschen sterben 1968 bei Explosion

Chlor gilt als einer der wichtigsten Rohstoffe in der DDR. Rund 300 Produkte, darunter Schuhe, Tischdecken, Rohre oder Bodenbeläge, werden direkt aus dem Grundstoff hergestellt. Eines der bedeutendsten DDR-Chemiekombinate befindet sich zwischen Bitterfeld und Wolfen.

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Hier findet auch das größte Chemieunglück in der Geschichte der DDR statt. Am 11. Juli 1968 tritt Gas in dem PVC-Werk aus und explodiert. Mehrere Anlagen werden zerstört und 42 Menschen sterben. Weitere 270 müssen mit Verletzungen ins Krankenhaus.

Ein Unglück, das sich bereits angekündigt hatte. Denn oftmals wird zulasten der Sicherheit produziert. Beispielsweise müssen PVC-produzierende Behälter abgelassen werden, da der Druck im Inneren der Zylinder zu stark ansteigt. Dabei entweicht das gefährliche Vinylchlorid-Gas ungefiltert in die Halle.

In der Zeit verlassen die Arbeiter in der Regel die Halle, doch an eben diesem 11. Juli 1968 entzündet sich das Gas und viele Arbeiter kehren nicht mehr zurück.

Chemieindustrie in der DDR: Schädliche Arbeitsbedingungen in Bitterfeld-Wolfen

Der ehemalige Chemieingenieur Hartmut Schüler hat im Chemiekombinat Bitterfeld gearbeitet und nach der Wende von den damaligen Arbeitsbedingungen berichtet. 

Messungen ergeben demnach, dass die Giftkonzentration am Arbeitsplatz 20 bis 30 Mal höher ist als erlaubt. Brandschutzbestimmungen sind mangelhaft. Ein einziger Funke kann bereits zu einer Explosionsserie führen. 

Auch die medizinischen Untersuchungen laufen nach einem falschen Verfahren ab, denn anstatt nach Benzolabbauprodukten zu suchen, wird im Blut nach Benzol gefahndet. Erst eine korrekte Messung ergibt die viel zu hohen und gefährlichen Werte.

Doch die Produktivität in der DDR steht im Vordergrund, Gesetzte und Sicherheitsvorschriften werden dafür lange ignoriert. Erst nach der Katastrophe vom 11. Juli 1968 wurden in der DDR neue Regelungen zum Brand- und Arbeitsschutz aufgestellt. 

Chlorfabrik der Buna-Werke: Belastung überschritten und Krebs als Folge der Arbeit

Permanente und massive Verstöße gegen die Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften gibt es auch in den Buna-Werken Schkopau. Krebs ist oft die Spätfolge der Arbeit und führt bei vielen ehemaligen Arbeitern früh zum Tod.

Literweise Abwasser wird in die Saale geleitet. Das Wasser ist jedoch schwer belastet beziehungsweise vergiftet, denn es enthält Quecksilber. 1983 gelangen nach Werksschätzungen etwa 1,45 Kilogramm davon pro Stunde in die Saale. Erlaubt sind nur 120 Gramm pro Stunde.

Nach einer Explosion stellt die Stasi „Undichtheiten am Rohrleitungssystem und funktionsuntüchtige Steuerungstechnik“ fest. Quecksilberkügelchen verseuchen die Umgebung. Zudem wird die per Gesetz zulässige Belastung mit Schad- und Giftstoffen "extrem hoch überschritten".

DDR-Staat produziert trotz tödlicher Bedingungen weiter in Chlorfabrik der Buna-Werke

Seit 1977 darf die Anlage nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung betrieben werden. Diese wird allerdings nicht mehr vom Gesundheitsministerium verlängert. Um den gesetzeswidrigen Zustand der Fabrik und die katastrophalen Arbeitsbedingungen wissen alle, dennoch wird weiter produziert.

Später sterben mehrere Arbeiter an einer Quecksilbervergiftung. Der zulässige Wert wird oft um das Fünfzigfache überschritten. Die medizinischen Unterlagen der Beschäftigten sind bis heute nicht einsehbar und teils verschwunden.